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Gibt es Gott? Und wo, bitte?
Der Kabarettist Günther Paal und der Physiker und Einstein-Schüler Walter Thirring (theoretische Physik) diskutieren:
Der Kabarettist Günther Paal und der theoretische Physiker Walter Thirring
DIE ZEIT: Herr Thirring, Sie schreiben in Ihren Büchern davon, dass Gottes Spuren in den Naturgesetzen zu finden sind. Wie meinen Sie das?
Walter Thirring: Wenn wir uns die Naturgesetze näher ansehen, dann erkennen wir, dass sie ungeheuer raffiniert gemacht sind. Wenn nur eine Kleinigkeit anders wäre, dann würde nichts mehr funktionieren. Es schaut also so aus, als ob eine gewisse Intelligenz dahinterstecken würde. Das ist aber auch schon das Ende vom naturwissenschaftlichen Standpunkt. Die weiteren Eigenschaften des Gottesbegriffes erkennt man in den Naturgesetzen nicht.
Günther Paal: Alle Götter wurden von Menschen entworfen. Dass dahinter eine gewisse Intelligenz steckt, ist eine relativ neue Erscheinung. Früher war Gott allmächtig und eben keine Superintelligenz. Wir basteln uns die Götter immer so, wie wir sie gerade erfinden können. Und zu den Naturgesetzen: Wenn es keine andere Chance gibt, ein funktionierendes Universum zu haben als das unsere, mit diesen fein abgestimmten Naturgesetzen, dann ist es doch nicht verwunderlich, dass wir in so einem leben. Das ist in etwa so überraschend, wie dass ein Fluss genau bis zum Ufer geht. Das als Beleg für etwas zu nehmen, halte ich für nicht sehr griffig.
Walter Thirring
Der theoretische Physiker, geboren 1927, lehrte unter anderem in Princeton und am M.I.T. Zuletzt erschien Baupläne der Schöpfung (Seifert-Verlag).
Thirring: Dem stimme ich schon zu. Aber trotzdem ist es Teil unserer menschlichen Logik, einen Sinn dahinter zu suchen.
Paal: Die Kuh kackt ja auch nicht ins Gras, damit der Skarabäus-Käfer seine Jungen großziehen kann, sondern das passiert Aber selbst wenn Gott das Universum geschaffen hätte, leitet sich
daraus nicht zwingend ab, dass er das für uns oder aus
irgendeinem anderen Grund gemacht hat. Der Käfer ist der Kuh auch nicht zu Dankbarkeit verpflichtet. Die Feinabstimmungen der Naturgesetze können Gott einfach passiert sein, beim Nägelschneiden etwa. Plötzlich hatte er ein Universum erschaffen, das funktioniert und Leben zulässt. Damit er das gemacht hat, um von uns gepriesen zu werden, ist eine Zusatzannahme, die sich daraus nicht ergibt.
Thirring: Wir sind doch nicht dazu befugt, Gott zu psychoanalysieren, warum er etwas gemacht hat und etwas anderes nicht. Wir können nur sagen, dass er es gemacht hat. Das Warum bleibt fraglich.
Günther Paal
Der Kabarettist und bibelfeste Atheist, geboren 1962, wurde als »Gunkl« bekannt. Derzeit ist er mit seinem Programm Die großen Kränkungen der Menschheit auf Tour.
Paal: Bei den Verboten wissen wir immer sehr genau Bescheid, aber dort, wo uns Rechte zugestanden würden, ist der Herr unergründlich. Es weist schon sehr viel darauf hin, dass wir Gott nach unserem Ebenbild erfunden haben, und nicht umgekehrt.
Thirring: Gott, oder die vielen Götter, sind entstanden, als man probiert hat, aus der Dynamik des Naturgeschehens heraus draufzukommen, warum das alles funktioniert. Die Natur ist sehr launenhaft und unergründlich, deshalb wird sie personifiziert. Götter gab es für alle Erscheinungen, für den Himmel, die Sonne, Stürme, Blitze und so weiter. Auf diese Weise entstanden diese Vorstellungen. Die christliche Lehre lässt sich ja in einem Satz kondensieren: Wir sind alle Kinder des einen himmlischen Vaters und sind angehalten, seinen Willen zu erfüllen. Das wissenschaftliche Pendant dazu ist: Wir sind alle das Produkt ein und derselben Evolution und tragen in uns das Bestreben, für Nachkommen zu sorgen, damit die Evolution weitergehen kann. Das sind zwei Statements, die in die gleiche Richtung wirken.
Paal: Aber nur, wenn man der Evolution einen eigenen Willen unterstellt. Doch Evolution passiert immer, und das, was funktioniert, bleibt. Der Rest nicht. Ich finde das immer blöd, wenn ich höre: Die Evolution hat sich etwas einfallen lassen. Die hat sich nämlich gar nichts einfallen lassen. Genauso wenig, wie sich ein Gebirgszug auftürmt oder eine Meeresströmung eine bestimmte Richtung hat, damit Leben möglich ist. Die Idee, dass wir nichts gegen die Natur tun können, ist uns unheimlich, deshalb personalisieren wir sie und unterstellen ihr Gründe. Weil, an jemanden mit Gründen kann ich mich wenden. Aber man kann sich nicht an die Natur wenden. Das zur Kenntnis zu nehmen oder nicht ist die Antwort auf die Frage, ob man religiös ist oder nicht.
ZEIT: Ist man sogar als Naturwissenschaftler versucht, bestimmte Dinge, die nicht mehr erklärt werden können, letztlich an eine höhere Instanz zu delegieren?
Thirring: Natürlich stößt man in der Naturwissenschaft immer an Grenzen. Die sind aber mehr oder weniger zufällig und hängen davon ab, wann wir geboren wurden. Vor tausend Jahren waren gewisse Dinge ganz wunderbar, die heute trivial sind. Und in weiteren tausend Jahren wird es nicht anders sein. Aber natürlich gibt es Bereiche, in denen die Religion nichts mitzureden hat.
Paal: Wozu sagt die Religion freiwillig, dass sie nichts zu sagen hat?
Thirring: Freiwillig eh nicht, sie glaubt schon, dass sie ihren Senf dazu abgeben kann. Ein Beispiel: Es gibt die Theorie der Multiversen. Ein Universum zu machen ist ein recht billiges Geschäft, weil es keine Energie kostet. Da fragt man sich natürlich, warum nicht gleich mehrere gemacht wurden. Ob es wirklich Multiversen gibt, weiß man nicht, es gibt keinen Beweis dafür. Nichtsdestotrotz steht die katholische Kirche dieser Theorie ablehnend gegenüber, aus unerklärlichen Gründen. Das ist nämlich eine rein naturwissenschaftliche Frage und hat nichts mit Religion zu tun.
ZEIT: Mit dem Konzept vom Intelligent Design mischt sich Religion in die Naturwissenschaft ein.
Thirring: Der Begriff Intelligent Design ist natürlich schon ein wenig diskreditiert. Aber dass die Naturgesetze etwas mit Intelligenz zu tun haben, ist daran ersichtlich, dass sie in der Sprache der Mathematik formuliert sind, und zwar nicht der numerischen Mathematik, sondern der abstrakten. Wer immer das konzipiert hat, muss ein gewisses Maß an Intelligenz besessen haben.
Der Fehler von Kardinal Christoph Schönborn in seinem Artikel über Intelligent Design in der New York Times war, dass er der Meinung ist, hinter der Evolutionstheorie stecke eine religionsfeindliche Grundhaltung, in welcher der liebe Gott nicht vorkommt. Da hat er verkannt, dass es das Prinzip einer physikalischen Theorie ist, dass man Regeln aufstellt, die allgemeingültig sein sollen. Da kann man den lieben Gott nicht noch irgendwie hineinpfuschen. Hinter der Evolutionstheorie steckt eine ganz normale wissenschaftliche Methode. Aber dass sie überhaupt funktioniert, dass das alles so gut arrangiert ist, das ist schon sehr intelligent – etwas zu intelligent für eine reine Zufälligkeit.
Paal: Irgendein Paläobiologe hat einmal gesagt, wenn man sich ansieht, wie viele Lebewesen es im Laufe der Erdgeschichte bereits gegeben hat und was heute davon noch übrig ist und herumrennt – das ist verschwindend. In erster Näherung, sagt er, seien alle Tierarten ausgestorben. Bei dem, was alles ausgestorben ist, muss man sagen, so intelligent ist das also nicht. Was ausgestorben ist, hat einfach irgendwann nicht mehr funktioniert. Und es ist schon verwunderlich, dass ein Gott mit einem Absolutheitsanspruch nur einen so kurzen Blick auf die Fauna wirft.
ZEIT: Der Unterschied zwischen einem Naturwissenschaftler und einem Künstler scheint zu sein, dass Naturwissenschaftler immer mehr Fragen stellen als sie Antworten geben können, und bei Künstlern ist es umgekehrt. Was Sie, Herr Thirring, uns bisher nicht gesagt haben, ist, wie eigentlich Ihr Gottesbild aussieht.
Thirring: Wir sehen ja immer nur gewisse Projektionen, aus denen wir dann versuchen, uns ein Bild zusammenzustoppeln. Daraus ergibt sich schließlich ein allgemeines Gefühl. Und das Gefühl deckt sich mit dem, was ich bereits gesagt habe: Wir sind alle Kinder ein und desselben himmlischen Vaters und sind angehalten, seinen Willen zu tun.
Paal: Aber worin besteht der Wille Gottes, den wir alle befolgen sollen? Welche Folgen hat es, wenn er nicht befolgt wird? Und wer hat die Befugnis, seinen Willen zu deuten? Das ist ja kein Serviervorschlag.
Thirring: Die zehn Gebote waren ein Versuch, das festzuhalten. Die sind natürlich auch eine Frucht des Monotheismus. Wenn es viele Götter geben würde und jeder von ihnen etwas anderes will, dann kann das nicht funktionieren. Wenn es nur einen gibt, dann ist es denkbar, dass es Regeln gibt, die für alle Leute verbindlich sind, unabhängig von ihrer Herkunft. Natürlich ist es schwierig, wenn man alles über einen Kamm scheren will, aber sie haben sich doch im Laufe der Jahrtausende irgendwie bewährt und sind auch heute noch die Grundlage vom menschlichen Zusammenleben.
Hoffnung ist ein starker Motor für den Glauben"
Paal: Aber allein die Tatsache, dass es Gesellschaften gibt, die gewisse Regeln haben, um ihr Bestehen zu gewährleisten, ist kein Gottesbeweis. Auch das Tötungsverbot in der Bibel gilt etwa nur für die eigene Gruppe, außerhalb dieser ist das nicht ganz so streng. Und in zwei der zehn Gebote wird die Sklaverei ausdrücklich gebilligt – beispielsweise, wenn geschrieben steht, man solle nicht nach des Nächsten Besitztümern verlangen, nicht nach dessen Haus, Vieh sowie nach dessen Sklaven und Sklavinnen.
Thirring: Wahrscheinlich ist etwa das erste Gebot: Ich bin dein Gott und du sollst keine Götter neben mir haben, dazu da, um zu sagen, dass gewisse Dinge verbindlich sind.
Paal: Bei mir ist die Toleranzgrenze schon bei diesem ersten Gebot überschritten. Entweder ist er der einzige Gott, dann ist es hinfällig. Oder er ist nicht der einzige Gott und will das vor uns verheimlichen. Oder: Gott ist inexistent.
ZEIT: Albert Einstein wollte »dem Alten auf die Schliche kommen«, hat es aber nicht geschafft. Wird die Diskussion darüber, ob es einen Gott gibt oder nicht, einmal vorüber sein?
Thirring: Nein, das wird nie beendet werden. Einen Beweis nach logischen Regeln für die Existenz Gottes wird es nie geben.
Paal: Weil das Konzept Gott einen Beweis ausschließt.
ZEIT: Aber auch die atheistische Denkschule wird sich nicht durchsetzen können.
Paal: Natürlich nicht. Wer glauben will, der glaubt. Hoffnung ist ein starker Motor für den Glauben, und was in unserer Welt alles passiert, das gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Deshalb wird die Hoffnung dorthin verfrachtet, wo es rein und sauber ist – und das ist halt der Glaube an Gott.
ZEIT: Herr Thirring, glauben Sie an ein Jenseits?
Thirring: Wenn ich an etwas glauben soll, dann brauche ich zumindest einen Strohhalm, an den ich mich klammern kann. Im Fall des Jenseits habe ich keinen Strohhalm. Aber ich lasse die Dinge an mich herankommen.
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