Auch Hans-Joachim Wahl hatte einen solchen Brief geschrieben. Es ist nicht schwierig, den Dekan kennenzulernen. Man muss nur an der Holztür des Pfarramtes von Bad Nauheim klopfen. Er öffnet sofort. Das, könnte man sagen, ist auch schon Teil seines Problems. Denn in der Vergangenheit hat Wahl zu häufig seine Tür geöffnet.Sie sind überarbeitet, verlieben sich oder verlieren den Glauben. Das alles ist bei Geistlichen nicht vorgesehen und wird verschwiegen. Wie sie damit umgehen – ein Besuch in Kirchen und Klöstern. Von Stephan Seiler
Die Verzweifelten sitzen hinten. In den letzten Reihen der kleinen Kirche, im Halbdunkel; die kleinen Fenster lassen nur wenig Licht herein. Es ist ein karger Raum, es gibt keinen Weihrauch hier, keine Wandmalereien, keine Reliquien, kein Pomp, nur ein Holzkreuz, das den Altarraum überragt.
Die Verzweifelten tragen Strickpullover und Westen. Sie tragen keine Talare mehr, keine Gewänder. Bis vor Kurzem waren sie Priester, Nonnen und Mönche. Was sie jetzt sind, wissen viele von ihnen nicht genau, zumindest im Moment nicht.
Die Mittagsandacht ist fast vorüber, als die Orgel verstummt und ein Mönch des Benediktinerordens aus dem Altarraum ans Pult tritt. Der bärtige Mann liest Vers 17, Psalm 25: "Die Enge meines Herzens mache weit, und führe mich heraus aus meinen Bedrängnissen." Dieser Vers ist häufiger zu hören in den Andachten hier. Er passt zu den Gästen in den letzten Reihen. Sie rufen im Chor "Amen".
Sie sind hierher, in das Kloster Münsterschwarzach bei Würzburg gekommen, weil sie in einer Krise stecken. Sie haben als Geistliche ihr ganzes Berufsleben damit verbracht, anderen zu helfen, und nun wissen sie selbst nicht mehr weiter. Sie können keinen Trost mehr spenden, weil sie selbst welchen brauchen.
Schutzraum für Seelsorger
So wie Hans-Joachim Wahl, der Priester, der sich selbst verloren hat, weil er ständig für andere da war.
So wie Matthias Woll, der Mönch, der sich nicht entscheiden konnte zwischen den beiden Lieben seines Lebens.
So wie Michael Stanke, der Dorfpfarrer, der verzweifelte, als er Gott nicht mehr spürte.
Es ist noch nicht so lange her, da saßen auch sie hier in der Abteikirche. Drei Monate lebten sie im Recollectio-Haus, einem gelben Flachdachbau gleich nebenan; im Schatten der Sandsteintürme, die das grüne Tal überragen, das der Main hier in die unterfränkische Erde gegraben hat. Oder Gott, je nach Glauben.
Der kleine Ort Schwarzach mit seinen 3600 Einwohnern besteht aus nicht viel mehr als dem 1223 Jahre alten Benediktiner-Kloster. Hier betreibt die katholische Kirche ihr eigenes Therapiezentrum für verzweifelte Würdenträger. Es ist zum Schutzraum geworden für Seelsorger, deren Seelen krank wurden.
Er gehört zu jener Sorte Priester, denen es schwerfällt, Nein zu sagen. Die sich jeder Kleinigkeit annehmen. Er will ja niemanden enttäuschen. Das spricht sich schnell herum.
Hans-Joachim Wahl sieht nicht aus wie ein Mensch, der schnell verzweifelt. Der 52-Jährige ist ein kräftiger Mann mit Glatze und freundlichem Gesicht. Es wird schnell rot, wenn Wahl lacht. Und er lacht viel. Auch traurige Anekdoten versieht er mit einer Pointe. Und den Rest verniedlicht sein hessischer Dialekt. "Früher dachte ich immer, Priester sind glücklich mit dem, was sie machen", sagt er. Mehr nicht. Als wäre ohnehin klar, wie sein Satz weitergehen müsse.
Wahl stammt aus einem kirchennahen Elternhaus. In seinem Abiturjahrgang haben von 130 Schülern fünf Theologie studiert. Damals, Anfang der 80er-Jahre, ließen sich in Deutschland 200 bis 300 junge Männer pro Jahr zum Priester weihen. Im Jahr 2010 verzeichnete die Statistik der Deutschen Bischofskonferenz 80 – so wenig wie nie zuvor.
Freie Wochenenden gibt es nie
Hans-Joachim Wahl hat sich diesen Nachmittag freigenommen. Er führt vom Gemeindehaus ein paar Meter weiter herüber in die Sakristei seiner Kirche St. Bonifatius. Dort schlüpft Wahl in sein "tertiäres Geschlechtsmerkmal". Ein seltsamer Name für ein grünes Messgewand. "Es ist, als wäre es mit mir verwachsen, so häufig trage ich es", sagt Wahl, "es gibt Tage, an denen ich es kaum ausziehe."
Wahl faltet die Hände, wippt leicht vor und zurück. Es ist ruhig, nur die einsame Glühlampe über ihm im Gewölbe surrt leicht. So viel Ruhe macht ihn nervös. Sie kommt selten vor in einer Mittelpunktgemeinde wie der seinen. 25 Pfarrgemeinden gehören zu dem Dekanat, dem Wahl vorsteht; für zwei ist er als Pfarrer zuständig.
"Nach meinem 20-minütigen Morgengebet um acht Uhr brauche ich mir im Pfarramt nichts Großes vorzunehmen – weil ich ja sowieso nicht dazu komme", sagt er. Laufend klingelt das Telefon, Besucher kommen spontan, um über ein Grußwort für den Sportverein zu sprechen. Mittags trauen, taufen und beerdigen, Messdiener treffen, den Kirchenchor, die Kolpingsfamilie oder Strafgefangene im Gefängnis des Nachbarorts.
Abends mit Brautleuten, Angehörigen von Verstorbenen oder Eltern von Taufkindern sprechen; mit dem Pfarrgemeinderat tagen oder Gottesdienste in Altenheimen feiern. Zwischendurch und vorm Zubettgehen schnell Post und E-Mails beantworten. Freie Wochenenden gibt es nie. Sonntag ist der wichtigste Arbeitstag.
So verleidet man die gerade für diesen "Beruf" (diese Berufung) so wichtige Begeisterung und erweist sich damit einen schlechten Dienst.
Die Kirche ist in nahezu allen Bereichen nach meiner Meinung menschenfeindlich und weltfremd!
So verleidet man die gerade für diesen "Beruf" (diese Berufung) so wichtige Begeisterung und erweist sich damit einen schlechten Dienst.
Die Kirche ist in nahezu allen Bereichen nach meiner Meinung menschenfeindlich und weltfremd!
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